Interview

Spitzen aus Papier

supercraft Portrait, Otto Mäckel: Spitzenpapier- und Prägeanstalt, Blog, 1000 Hände

Heute bin ich in meinem Geburtsort Burgstädt in Sachsen und besuche die Firma Otto Mäckel – Spitzenpapier- und Prägeanstalt, die seit 1872 existiert. Inhaber Gottfried Pfeiffer jun. gibt Einblicke in 145 Jahre Handwerkskunst, erzählt über seine Einstellung zur Arbeit und zeigt mir sein “arbeitendes Museum”.

Herr Pfeiffer und ich sitzen uns an einem Arbeitstisch auf alten Werkstatthockern in der obersten Etage seiner 145 Jahre alten Fabrik gegenüber. Es ist kurz vor Ostern. Das große Saisongeschäft ist gerade vorüber und in den Arbeitsräumen herrscht Ruhe. Unter den Tischen stehen große Körbe mit Papierabfällen. Auf dem Schreibtisch stapeln sich noch einige Dokumente. Man sieht, hier wurde bis eben noch kräftig gearbeitet

 

supercraft Blog 1000 Hände Interview Otto Mäckel Papierspitzen Manufaktur

 

Hallo Herr Pfeiffer, vielen Dank, dass ich heute bei Ihnen zu Besuch sein darf! Erzählen Sie doch mal wo wir hier sind.

 

Die Firma Otto Mäckel – Spitzenpapier und Prägeanstalt wurde 1872 von Herrn Otto Mäckel als Verpackungsveredeler für die damalige Handschuhindustrie gegründet. Damit die hochwertigen Leder- und Spitzenhandschuhe, die hier in der Region gefertigt wurden, schön verpackt werden konnten, wurden edle Pappkartons benötigt, die noch zusätzlich mit feinen Papierspitzen ausgelegt wurden. 1884-86 wurde das heutige Wohn- und Fabrikgebäude gebaut, in dem wir uns jetzt befinden. Alle Maschinen, die damals angeschafft wurden, stehen noch an Ort und Stelle und funktionieren einwandfrei. Seit dieser Zeit bis heute 2017 verkauft die Firma Otto Mäckel die gleichen Produkte. Das Produktsortiment hat sich nicht geändert. (Ich mache große Augen!)

 

Welche Produkte sind das? Wie kann ich mir Papierspitzen vorstellen?

 

Kennen Sie die Mai- und Marienkäfer aus Schokolade? Ich produziere zum Beispiel die Beine für diese Schokokäfer. Es gibt natürlich auch einfache, gestanzte Beinchen, unsere sind aber dazu noch mit einem Muster geprägt. Außerdem liefere ich an Konditoren und Chocolatiers Papierspitzendeckchen. Die kommen unter kleine Kuchen oder in Pralinenschachteln. Viele Kunsthandwerkbetriebe aus dem Erzgebirge benötigen meine Stanz- und Prägeprodukte aus Papier für ihre Produkte. Da werden Pappostereier mit Papierspitze beklebt, Lichterhäuser gebaut und Weihnachtsbaumschmuck verziert.

 

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Wie sind Sie in die Firma gekommen?

 

Mein Vater hat die Firma 1968 übernommen. Eines Tages war die Stelle des Meisters zu vergeben. Mein Vater fragte mich, ob ich dazu nicht Lust hätte – und ich sagte zu. Mein Vater hat den Betrieb über die politische Wende 1989 gebracht und noch bis 1999 weitergeführt. Dann habe ich die Firma übernommen; nicht ganz freiwillig.

 

In welchem Zustand war die Firma zu dieser Zeit?

 

In der ehemaligen DDR waren wir nie in Berührung mit einer freien Marktwirtschaft gekommen. Damals wussten wir schon im Januar, was wir bis Ende des Jahres zu tun hatten. Man hatte aber auch keinen Einfluss auf den eigenen Erfolg. Planwirtschaft eben. Zum Glück wurden wir nicht enteignet, da wir zu klein waren. Deswegen ist die Firma auch noch komplett intakt, wurde nicht auseinandergerissen und das Wissen blieb in der Familie. Die Zeit nach der Wende war extrem schwierig. Aus alten Unterlage wussten wir, wie gut die Firma einst verkauft hatte und machten uns große Hoffnungen. Die wurden leider erstmal enttäuscht. Die freie Marktwirtschaft war uns ein Buch mit sieben Siegeln. Aber wir haben schnell gelernt, dass auch alle anderen nur mit Wasser kochen und konnten uns zurechtfinden. 1999 dachte ich als junger Familienvater:

 

“Wenn ich ein halbes Jahr mit der Firma durchhalte, sind alle zufrieden. Heute sind es 18 Jahre. Darauf bin ich schon stolz.”

 

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Wie ist es mit Konkurrenz? Gab oder gibt es noch weitere Firmen, die ähnliche Produkte wie Sie herstellen?

 

Zur Zeit der Gründung gab es einige Firmen, die Papierspitzen und Papierprägeprodukte produziert haben, auch im Ausland. Ende der 1920er Jahre mit der Wirtschaftskrise wurden es rapide weniger. Unter DDR-Zeiten waren wir der einzige Betrieb und im Moment gibt es in Deutschland nur noch zwei weitere Firmen, die eine ähnliche Produktionsweise haben. Papierstanzprodukte sind zum großen Teil Massenware geworden und kommen aus China.

 

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Und trotzdem konnten Sie sich mit Ihrem Sortiment durchsetzen?

 

Ja, wir liefern eine Qualität, die man als Massenware niemals produzieren könnte. 2011 oder 2012 waren wir über die IHK nach Shanghai in den Deutschen Pavillon der Messe eingeladen um da die Firma zu präsentieren. Ein chinesischer Geschäftsmann kam auf mich zu, er war begeistert von unseren Produkten und fragte, wieviele Papierdeckchen ich am Tag für ihn herstellen könnte. Meine Antwort: ungefähr 500 Stück. Er schaute mich ungläubig an und antwortete: “Wissen Sie, wieviele Menschen wir hier in China sind?” (lacht herzlich)
Es gibt immer Firmen, die ihre eigenen Produkte auf eine besondere Weise präsentieren möchten und bei uns fündig werden. Wir haben Kunden in Deutschland, ganz Europa, Australien, Japan, Südkorea und den USA.

 

Die Maschinen und Werkzeuge, die wir jetzt hier sehen und mit denen Sie jeden Tag arbeiten, sind noch die Maschinen, die in den Gründungsjahren 1872-84 angeschafft wurden, oder?

 

Das ist richtig! Und sie stehen immer noch an den Plätzen, an die sie vor über 140 Jahren gestellt wurden. Das kann ich aus alten Aufzeichnungen und Einkaufslisten ablesen. Die Maschinen sind so gewaltig und schwer, dass man sie auch wirklich nur mit sehr viel Aufwand ab- und aufbauen könnte. Gott sei Dank konnte ich bisher alle Maschinen selber reparieren und keine musste zur Reparatur die Firma verlassen. Das hätte enorme Probleme, denn es passiert schnell, dass der Bestandsschutz verfällt und die Maschinen so ihre Zulassung verlieren. Auch die Stanzwerkzeuge, mit denen ich heute arbeite, sind die gleichen Werkzeuge mit denen meine Vorgänger immer gearbeitet haben.

 

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Wie müssen die Werkzeuge gepflegt werden, damit sie eine so lange Zeit unbeschadet überstehen und immer noch einsatzbereit sind?

 

Das A und O ist die Pflege und Aufbewahrung der Werkzeuge. Außerdem ist das Papier von wesentlicher Bedeutung. Über jedes Papier, das gestanzt wird, wird ein Stück Graupappe gelegt um die Schneidekanten des Werkzeuges zu schonen. Früher in der DDR gab es sehr schlechte Graupappe, in der kleine Steinchen abgelagert waren. Das hat den Werkzeugen natürlich extrem geschadet. Zum Glück haben wir in dieser Zeit nur ein kleines Sortiment unserer über 400 verschiedenen Werkzeuge genutzt, so dass wir heute immer noch aus dem Vollen schöpfen können.


Ich wäre auch aufgeschmissen ohne meine alten Stanz- und Prägewerkzeuge. Die Muster dieser Werkzeuge wurden damals per Hand in mühevoller Kleinarbeit aus dem Eisen gekratzt und geschlagen. Eine Gravurkunst, die heutzutage niemand mehr beherrscht.

 

Wie genau läuft die Produktion eines Spitzenpapierdeckchens ab?

 

Ich habe für jeden Arbeitsschritt mindestens eine Maschine in der Firma stehen. Alle Maschinen sind noch funktionstüchtig. In meiner Produktion bin ich komplett unabhängig. Nur Papier muss eingekauft werden.


Zuerst schneide ich Papier zum stanzen/prägen und Pappe als Schutz für die Werkzeuge zu. Auf das Stanzwerkzeug wird auf das Papier gelegt, darauf die Pappe. Dieser Stapel läuft durch eine rollende Presse.


Auf der anderen Seite trennt man Pappe und Papier voneinander. Eine Papierdeckchen ist fertig. Später werden mit einer spitzen Nadel per Hand Papierreste, die noch in den kleinen Zwischenräume festsitzen, entfernt.
Nach jedem Pressvorgang wird das Stanzwerkzeug mit einer weichen Bürste gesäubert, damit keine Rückstände hängen bleiben und das nächste Papierdeckchen ebenso perfekt gestanzt werden kann. Ich laufe also während des Stanzvorganges immerzu an der Maschine hin und her. Zum Glück sind alle Maschinen mittlerweile mit Elektromotoren umgerüstet. Meine Vorgänger mussten die Transmission der Maschinen noch mit Wasserdampf, später mit Gas antreiben.
Vormittags bin ich meistens in den Produktionsräumen, nachmittags wird konfektioniert, verpackt und versendet.

 

Wie sehen Sie die berufliche Selbstständigkeit? Und gab es Überlegungen die Firma aufzugeben und sich einen Job zu suchen?

 

Sich anstellen zu lassen, wäre für mich nur die letzte Option gewesen. Wenn gar nichts mehr geht, bliebe nichts anderes übrig. Meine Frau hat einen guten Job und hat meinen Entschluss immer unterstützt. Außerdem wäre ich wahrscheinlich nach 18 Jahren Selbstständigkeit und Selbstbestimmung gar nicht mehr vermittlungsfähig. (lacht)


Selbständigkeit hat natürlich, wie alles im Leben, Vor- und Nachteile. In unserer Familie mit drei Kindern war die Zeitsouveränität immer der größte Vorteil. Immer ist jemand zuhause. Und wenn tagsüber keine Zeit für die Arbeit bleibt, kann ich abends nochmal was machen.


In der Selbstständigkeit gibt es natürlich keine finanzielle Sicherheit. Nur die Erfahrung gibt einem Sicherheit. Meine beste Erfahrung mit der Selbstständigkeit ist, dass immer, wenn du denkst, jetzt ist alles aus, jetzt musst du dichtmachen – immer dann kommt der nächste Auftrag, der dir wieder Mut und Hoffnung gibt. Immer weiterzumachen habe ich nie bereut! Außerdem vertraue ich auf Gott. Der Halt im Glauben hat unsere Familie immer stark gemacht.

 

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Gibt oder gab es Angestellte?

 

Ja, wir hatten eine Zeit lang Angestellte. Aber das ist ein komisches Gefühl, weil man Ihnen keine Sicherheit geben kann. Man weiß ja selber nicht, wie der nächste Monat wird. Und der Monat ist schnell vorbei. Außerdem findet man immer weniger Leute, die die Fingerfertigkeit haben und sehr präzise arbeiten können. Der dritte Grund, warum ich keine Angestellte habe, ist das Arbeitsumfeld. Ich bin ja sozusagen ein arbeitendes Museum. Da kann ich keinen Arbeitsschutz mehr gewährleisten. Solange es so geht, dass ich meine Arbeit alleine machen kann, möchte ich dabei bleiben.

 

Man sagt ja, Handwerk hat goldenen Boden. Würden Sie das unterschreiben?

 

Ich glaube, das wird wieder. Man wird vielleicht in einem handwerklichem Beruf nicht reich. Aber es ist schön, wenn man jeden Tag Arbeit hat, die einen befriedigt und Spaß macht. Und dass man am Jahresende sagen kann: Es ist alles bezahlt und es ist sogar noch etwas übrig. Es sind öfters Anfragen auf mich zugekommen, ob ich nicht expandieren möchte. Aber ich habe immer wieder gesagt, dass es für mich das Wichtigste ist, unser Familienleben zu bestreiten und ich mich nicht von selbst auferlegtem Wachstumswunsch unter Druck setzen lassen möchte.


Ich glaube handwerkliche Berufe haben wieder Zukunft. Wir sehen das in unserem Umfeld. Niemand möchte solche Berufe mehr lernen, aber gleichzeitig gibt es einen großen Bedarf an Reparatur, Neubau und gutem Service. Wenn man Interesse hat, ein Handwerk zu lernen und Spaß an der Arbeit hat, liefert man immer eine gute Qualität ab. Und Qualität setzt sich durch. Außerdem ist es immer gut, wenn man selber etwas kann. Es hilft einem das eigene Leben selbstbestimmt zu gestalten, nicht bei jedem Handgriff auf andere angewiesen zu sein und alles am Ende bezahlen zu müssen.

 

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Wie stellen Sie sich Ihre berufliche Zukunft vor?

 

Schön wäre es, wenn ich meine Arbeit noch bis zur Rente machen könnte. Oder sogar auch mit meiner Frau gemeinsam darüber hinaus. Zusammen noch bis ins hohe Alter rummodeln (sächs. f. Arbeiten, wie und wann man möchte), das wäre ein Traum. Mir macht meine Arbeit sehr viel Spaß!


 


 

Mit diesen schönen Schlussworten möchte ich das Interview beenden. Vielen Dank Herr Pfeiffer für Ihre Zeit und Geduld! Ich hatte eine interessante Zeit in der Firma Otto Mäckel. Die zwei Stunden vergingen wie im Flug und nun habe ich Lust selbst Hand anzulegen und würde am liebsten mithelfen.

Das Interview wurde am 11. April 2017 von Sophie Pester geführt
© Copyright Fotos: Sophie Pester & Firma Otto Mäckel

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