Bodo Henke und mich verbindet eine große Leidenschaft: Hiddensee. Wir beide haben einen Großteil unserer Sommer der letzten Jahrzehnte auf der Ostseeinsel verbracht. Und da haben wir uns auch kennengelernt.
Heute besuche ich Herrn Henke in seiner Werkstatt in Brandenburg an der Havel. Nach einer Tasse Tee und einer Schale Erdbeeren auf dem Balkon, zeigt mir Herr Henke seine Werkstatt auf dem Dachboden. Wir sprechen über seine Arbeit und seine Kunst. Im Anschluss bekomme ich noch eine praktische Einführung ins Schnitzhandwerk und schnitze meinen ersten Löffel.
Herr Henke, wir sind hier umgeben von Ihren wunderbaren Holzplastiken. Überall, wo ich hinschaue, schauen mich Gesichter in Holz geschnitzt an. Wie fing alles an?
Alles fing 1980 mit einem Ostseeurlaub an. Da ich nicht der Typ bin, der sich stundenlang am Strand braten kann, wurde mir langweilig. Aber ich hatte ein Taschenmesser dabei und fand schnell ein Stück Treibholz. So kam ich zum Schnitzhandwerk.
Die Tätigkeit hat mich so begeistert, dass ich mich, wieder zuhause angekommen, schlau gemacht habe: Wie funktioniert das Schnitzen? Was sind die Gesetzmäßigkeiten der Plastik? Was machen die anderen Künstler?
Wieso arbeiten Sie mit Holz?
Ton und Stein habe ich auch ausprobiert. Aber an Holz bin ich am einfachsten rangekommen. Am Strand lag es einfach herum. Und dann haben mir auch immer wieder Freunde und Nachbarn Holz angeboten: “Hey Bodo, wir haben einen Apfelbaum gefällt. Möchtest du das Holz haben?” So einfach also.
Was inspiriert Sie?
Ich habe mein Thema gefunden. Ich mache Köpfe, Figuren und am liebsten Paare. Zwischenmenschliche Beziehungen finde ich am interessantesten. Ich beobachte auch gerne Menschen. Wie gehen Menschen miteinander um?
Bei mir gehen alle immer freundlich miteinander um.
Was ist Kreativität für Sie?
Sobald ich Lust auf meine Arbeit bekomme und hier hoch in die Werkstatt komme, schaue ich mich nach einem Stück Holz um. Wenn ich das Holz in den Händen halte, beginnt die Kreativität. Das jeweilige Holzstück regt meine Fantasie an.
Jedes Paar, das ich schnitze, ist anders. Liebevoll zueinander, aber immer führen sie ganz unterschiedliche Dialoge miteinander.
Und auch im Internet bin ich viel unterwegs und gucke, was andere Künstler so machen.
Was bedeutet Schönheit für Sie?
Ich denke, dass die Schönheit in der Wahrheit liegt. (schmunzelt und bittet mich, mir zwei eben angefertigte Löffel anzusehen, die neben mir liegen)
Schauen Sie sich mal diese beiden an. Sie sind überhaupt nicht “schön”, aber weil es die beiden wirklich so geben könnte, macht es sie für mich wirklich schön.
Ich habe beim Schnitzen eines Gesichtes auch keine konkrete Vorstellung im Kopf. Die Gesichter und die Mimik kommen einfach raus, wie sie wollen und überraschen mich.
Diese beiden Löffel sind eine Auftragsarbeit und sollten eigentlich ein alter Seebär und eine Nixe werden, aber das ging einfach nicht. Im Holz waren diese Motive nicht zu finden.
Sie waren Kunstlehrer. Hat Sie das hier bei Ihrer Arbeit mit Holz beeinflusst?
Auf eine gewisse Art und Weise schon. Genau in Worte fassen, kann ich es allerdings nicht.
Was mir dabei aber auffällt, ist, dass ich selbst für meine plastische Arbeit mit Holz nie einen Lehrer hatte oder in irgendeiner Form eine Ausbildung gemacht habe. Das bedauere ich schon. Ich hätte gerne solch eine Ausbildung gemacht. Aber was nicht ist, ist nicht. Und wer weiss, wie mich ein Lehrer vielleicht beeinflusst hätte. So ist alles aus mir selbst heraus entstanden.
Wenn Sie heute nochmal eine Klasse mit Schülern vor sich hätten und ihnen einen Tipp für die zukünftige Berufswahl geben sollten, welcher wäre das?
Ich würde meinen Schülern raten, erstmal die Schule so gut, wie es geht, abzuschließen und anschließend ein Handwerk zu erlernen. Ganz egal welches: Schreiner, Dachdecker, Maler, Glaser, … Danach kann man immer noch weiterschauen.
Wichtig ist: Verplemper nicht deine Zeit, mach was draus.
Wie oft sind Sie in Ihrer Werkstatt?
Ich bin eigentlich jeden Tag hier - meistens am Nachmittag von 14-18 Uhr. Und es freut mich jeden Tag. Mir würde sonst etwas fehlen.
Wie sieht ein typischer Nachmittag hier oben in der Werkstatt für Sie aus?
Bevor ich in die Werkstatt gehe, ziehe ich mir Arbeitskleidung an und in der Werkstatt darüber die Schürze. Ich nehme mir auch immer eine Flasche Wasser mit. Sobald ich dann mit dem Schnitzen begonnen habe, versinke ich tief in der Arbeit. Ich höre auch kein Radio nebenbei, obwohl ich Musik liebe. Aber Musik findet hier in der Werkstatt nicht statt. Die findet dann woanders statt.
Und wenn ich nach getaner Arbeit wieder nach unten in meine Wohnung gehe, geht es mir richtig gut. Dann bin ich ein richtig glücklicher Mensch. Ich habe etwas gemacht!
Welches Verhältnis haben Sie zu Ihren Händen?
Ich bin mir meiner Hände sehr bewusst. Und ich bin auch sehr froh und dankbar, dass sie mir noch so gut gehorchen und noch so schön beweglich sind. Aber das liegt auch daran, dass ich sie jeden Tag benutze und herausfordere, denke ich. Ich hoffe, dass meine Hände noch lange so mit mir mitmachen.
Durch eine krankheitsbedingte Pause konnten Sie eine ganze Zeit lang nicht in Ihrer Werkstatt arbeiten. Hat Ihnen das gefehlt?
Eigentlich überhaupt nicht. Im Krankenhaus hatte ich mein Papier und meine Stifte dabei und habe den ganzen Tag gezeichnet. Meine Hände waren also laufend in Bewegung. Das war mir auch besonders wichtig, nicht einfach nur rumliegen und rumsitzen. Ich wollte etwas machen!
Was machen Sie in Ihrer freien Zeit?
Freizeit ist ein merkwürdiger Begriff. Früher als Lehrer war das schon klarer. Aber ich lebe ja frei. Mein ganzes Leben ist Freizeit. Und ich gestalte ja mein Leben mit all den Dingen, die ich gerne tue. Das ist mein Leben. Da ist meine Arbeit auch selbstverständlich ein Teil davon. Der Begriff Freizeit spielt für mich eigentlich gar keine Rolle.
Welche Verbindung haben Sie zu Hiddensee?
Wir sind früher als Familie oft an die Ostsee gefahren. Nach der Wende waren wir dann das erste Mal auf Hiddensee. Und meine Frau war verliebt in die Insel! Und dann waren wir jedes Jahr da. Kurz vor dem Tod meiner Frau, meinte sie zu mir, dass ich ja dann wahrscheinlich ohne sie nicht mehr nach Hiddensee fahren werde. Aber das war nicht so. Nicht nur sie war verliebt. Ich war es auch.
Jetzt bin ich schon seit vielen Jahren alleine auf der Insel. Und ich bin Teil einer kleinen Gruppe von Kreativen, die öffentlich arbeiten und verkaufen - am Wegesrand sozusagen. (Und wer Hiddensee kennt, weiss was Herr Henke mit “am Wegesrand” meint. Denn auf Hiddensee ist alles irgendwie am Wegesrand.)
Das Kennenlernen fremder Menschen, deren Anerkennung zu bekommen und gemeinsam mit anderen Künstlern den Tag zu verbringen, macht mir großen Spaß.
Das Interview führte Sophie Pester am 26. Juni 2023 in Brandenburg an der Havel.
© Copyright Fotos: Sophie Pester
Wer im Juli auf Hiddensee zu Besuch ist, kann in Neuendorf gegenüber dem Hotel am Meer nach Bodo Henke und seinen Holzarbeiten Ausschau halten. Die Arbeiten von Bodo Henke sind auch online zu finden unter: www.bodohenke.de
Ich freue mich jetzt auf einen Schnitzkurs und bin gespannt, wie ich mich anstelle. Hier ein paar Einblicke:
Et voila. Mein erster geschnitzer Löffel ist fertig. Mein Löffel wurde mit jedem Schnitzer immer dünner :) Aber ich bin begeistert und auch stolz auf das Ergebnis. Die Anstrengung merke ich in den Armen und Händen.
Es ist erstaunlich, wie man aus einem eckigen Stück Holz eigentlich fast jede Form herausholen kann. Es hat mir großen Spaß gemacht. Es hat auch großen Spaß gemacht, Herrn Henke bei seinen geübten Handgriffen zuzuschauen. Also nix wie ran ans Holz!